Wann kann ich jemanden enterben, wann kann ich den Pflichtteil entziehen?

Für viele Menschen ist Blut dicker als Wasser. Die Familie und besonders die Kinder sind ihr ein und alles, und diese sollen natürlich einmal auch das ganze Vermögen erben. Oftmals aber kommt es zum Zerwürfnis zwischen den Eltern und dem Kind / den Kindern. Und was dann? Wann kann ich jemanden enterben, wann kann ich ihm den Pflichtteil entziehen? Und was ist der Pflichtteil überhaupt?

 

I. Die Erbfolge allgemein

Im deutschen Erbrecht ist die Erbfolge gesetzlich geregelt. Die Erben sind in sog. Ordnungen eingeteilt, die die Reihenfolge der Erbberechtigung angeben. Nur, wenn aus der höheren Ordnung niemand mehr lebt, kommen die Erben der nachfolgenden Ordnung zum Zuge.

Die Ordnungen:

1. OrdnungAlle Abkömmlinge des Verstorbenen (Erblasser), also diejenigen, die von ihm abstammen (Kinder des Erblassers; sind diese vorverstorben, Enkelkinder des Erblassers; sind diese vorverstorben, Urenkelkinder des Erblassers etc.)
2. OrdnungEltern des Erblassers und alle Personen, die von den Eltern abstammen (also Geschwister, wenn Eltern vorverstorben, Neffen und Nichten, wenn auch die Geschwister vorverstorben sind)
3. OrdnungGroßeltern des Erblassers und alle Personen, die von den Großeltern abstammen
4. OrdnungUrgroßeltern des Erblassers und alle Personen, die von den Urgroßeltern abstammen

Daneben hat auch der Ehegatte immer ein gesetzliches Erbrecht. Die Höhe des Ehegatten-Erbrechts hängt davon ab, in welchem Güterstand der Erblasser verheiratet war.

 

II. Das Enterben und der Pflichtteil

Die gesetzliche Erbfolge kann durch Testament nach den Wünschen des Erblassers abgeändert werden. Der Erblasser kann in einem Testament bestimmen, wer seinen Nachlass erben soll. Achtung: Das Testament muss ein paar Voraussetzungen erfüllen, damit es wirksam ist; beispielsweise darf es nicht mit dem PC oder der Schreibmaschine geschrieben sein. Zur Wirksamkeit muss es entweder handschriftlich vom Erblasser verfasst werden, oder es muss notariell beurkundet sein.

Nicht jeder, der durch das Testament enterbt wird, geht leer aus: Den sog. Pflichtteilsberechtigten steht grundsätzlich ein Pflichtteil am Nachlass zu. Der Pflichtteil ist also nichts anderes als eine finanzielle Mindestbeteiligung am Nachlass. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Daneben existieren ggf. noch weitere Ansprüche, wie zum Beispiel der Pflichtteilsergänzungsanspruch.

Die Höhe des Pflichtteilsanspruchs errechnet sich aus dem Wert des Nachlasses. Der Wert des Nachlasses wird ermittelt, indem zunächst alle positiven Vermögenswerte des Erblassers addiert werden. Von dieser Summe werden anschließend sämtliche Verbindlichkeiten abgezogen. Beispiel:

Der Erblasser hatte auf seinem Girokonto 1.000 Euro. Außerdem besaß er ein Haus im Wert von 500.000 Euro und ein Auto im Wert von 9.000 Euro. Auf dem Haus lastet eine Grundschuld in Höhe von noch 200.000 Euro.

Addiert man die positiven Vermögenswerte, also Girokonto, Haus und Auto, errechnet sich ein Vermögen von 510.000 Euro. Davon muss allerdings noch die Grundschuld abgezogen werden; der Nachlass hat also einen Wert von 310.000 Euro.

Wichtig: Gemäß § 2303 BGB besteht ein Pflichtteilsanspruch ausschließlich für gesetzliche Erben der 1. Ordnung, für die Eltern des Erblassers und für den Ehegatten des Erblassers.

Kurz: Werden die Kinder, die Eltern oder die Ehegatten enterbt, haben diese immer noch einen Anspruch auf den Pflichtteil. Dieser Anspruch ist gegenüber den Erben geltend zu machen.

 

III. Die Entziehung des Pflichtteils

Unsere Gesetze sind sehr strikt, was den Pflichtteilsanspruch betrifft; er kann nur in wenigen Ausnahmefällen ausgeschlossen werden. Die Ausnahmen sind abschließend in § 2333 BGB geregelt. Danach kann der Pflichtteil dem an sich Pflichtteilsberechtigten nur entzogen werden, wenn dieser:

1. dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser nahestehenden Person nach dem Leben trachtet,

2. sich dieser eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der in Nummer 1 bezeichneten Personen schuldig macht,

3. die ihm dem Erblasser gegenüber obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt oder

4. wegen einer vorsätzlichen Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und seine Teilhabe am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. Gleiches gilt, wenn seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Erziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird.

Die inhaltlichen Hürden für eine Pflichtteilsentziehung sind daher relativ hoch. Hinzu kommen formelle Hürden: Um den Pflichtteil wirksam zu entziehen, muss der Erblasser den Grund für die Entziehung detailliert beschreiben sowie die Hintergründe und die Folgen des Vorwurfs, der zur Pflichtteilsentziehung führt, konkret und genau darlegen. So hat kürzlich das Landgericht Frankenthal (Urteil vom 11.03.2021, Az. 8 O 308/20) entschieden, dass die Angabe in einem Testament, der Pflichtteil werde entzogen, da das Kind die Mutter mehrfach geschlagen und sie hierbei eine Schädelprellung erlitten habe, nicht ausreichend ist, um den Pflichtteil zu entziehen. Vielmehr hätten die Hintergründe der Auseinandersetzung, in deren Verlauf das Kind die Mutter geschlagen habe, sowie die Folgen genannt werden müssen. Möglicherweise habe sich die Körperverletzung bei einem spontanen Streit oder im Affekt zugetragen. Dies rechtfertige aber nicht zwingend eine Pflichtteilsentziehung.


IV. Die Reduzierung des Pflichtteils

Gibt es keinen triftigen Grund, dem Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteil zu entziehen, gibt es zumindest einige gestalterische Möglichkeiten, um den Pflichtteil zumindest zu reduzieren, beispielsweise durch lebzeitige Schenkungen. Dazu ist in der Regel allerdings eine frühzeitige Planung erforderlich. Die wichtigsten Möglichkeiten, um Pflichtteilsansprüche möglichst zu verringern, habe ich Ihnen in diesem Artikel vorgestellt.